Stadtrat will weniger Oberleitung

Straßenbahn im Englischen Garten: Tram frei für Nordtangente

+
Die MVG soll die Nordtangente weiter planen. Sie führt auch durch den Englischen Garten (Animation).

Die Tram-Nordtangente wird geplant. Das hat der Stadtrat mehrheitlich entschieden. Geprüft werden soll, ob die Züge auch außerhalb des Englischen Gartens ohne Oberleitung auskommen. Viele Anwohner sind nicht begeistert.

Ganz am Ende des Wortgefechtes um die Tram-Nordtangente fasste Stadtrat Tobias Ruff (ÖDP) das Dilemma der Stadt in wenigen Worten zusammen: „Es gibt einen sehr hohen Bedarf beim Nahverkehr. Und es gibt Argumente und Bedenken gegen die Nordtangente. Die Verwaltung muss einen Kompromiss finden, der die Nachteile minimiert.“ Damit wäre eigentlich alles gesagt. War es aber nicht.

                     Der Stadtrat hat gestern mehrheitlich zugestimmt, dass die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) die Planungen für die Nordtangente weiter vorantreiben darf. Dabei geht es um den Neubau einer Gleistrasse von zwei Kilometern auf Franz-Joseph-, Martius- und Thiemestraße. Auf einem etwa einen Kilometer langen Teilstück würde die Tram mit Akkubetrieb, also ohne Oberleitung, durch den Englischen Garten fahren. Vier neue Haltestellen sind vom Elisabethplatz bis zur Tivolistraße geplant. Die zwei Kilometer lange Gleistrasse wäre der Lückenschluss für eine dann 13 Kilometer umfassende Verbindung von Laim über Nymphenburg und Schwabing bis nach Bogenhausen. Bei der weiteren Planung wird unter anderem geprüft, ob die Trasse zur Münchner Freiheit verlängert werden kann und ob sie auch in den Bereichen Franz-Joseph-, Martius- und Thiemestraße ohne Oberleitung auskommt. Die MVG muss sich im weiteren Prozess auch mit dem Freistaat als Eigentümer des Englischen Gartens abstimmen.

Elektrobusse als Alternative zur Tram durch den E-Garten

Die Staatsregierung hatte zwar Einverständnis mit den Planungen signalisiert, die Umsetzung ist aber weiterhin fraglich. Minister Ludwig Spaenle (CSU), in dessen Wahlkreis die Trasse läge, ließ gestern mitteilen: „Die Möglichkeit offener Planungen unterstütze ich, halte aber an der Ablehnung einer Tram fest.“ Spaenle favorisiert weiterhin Elektrobusse.

Das wäre auch nach dem Geschmack der Anwohner. Carolina Pougin hat sogar eine Online-Petition initiiert. Sie befürchtet massive Eingriffe in das Naturdenkmal Englischer Garten. Zudem stelle die Tram ein Sicherheitsrisiko für Fußgänger, Radfahrer, Hunde und spielende Kinder dar. Die Fahrer der derzeit dort fahrenden Busse nähmen Rücksicht und könnten gegebenenfalls ausweichen. Eine Tram täte dies nicht. „Irgendwann werden Absperrgitter aufgestellt“, sagte Pougin im Plenum.

Auch zieht sie die Kostenkalkulation der MVG mit 40 Millionen Euro in Zweifel. „Am Ende ist man schnell bei über 100 Millionen Euro. Ein neuer Elektrobus kostet 600 000 Euro. Der Vorteil einer Tram ist nicht erkennbar.“ Grünen-Stadtrat Paul Bickelbacher sah das anders: „Eine Tram kann eineinhalb mal so viele Menschen transportieren wie ein Bus. Von der Nordtangente haben wir einen hohen verkehrlichen Nutzen. Und sie lässt sich relativ schnell realiseren.“ Die MVG rechnet damit, dem Stadtrat im zweiten Halbjahr 2019 einen Trassierungsbeschluss vorlegen zu können.

CSU-Chef Manuel Pretzl hatte Verständnis für die Bedenken der Anwohner. „Aber wir sind beim Einstieg der Planungen, da präsentieren wir noch keine Lösungen, sondern müssen sie erst noch suchen.“ Angesichts der wachsenden Herausforderung beim Nahverkehr halte er es für unseriös, neue ÖPNV-Projekte von vorneherein auszuschließen. Stadtrat Jens Röver (SPD) ergänzte: „Mich freut es, dass der jahrelange Konflikt um die Nordtangente nun beigelegt wurde. Das ist ein wichtiges Projekt für den ÖPNV




StadtpolitikStadtrat beschließt Tram durch den Englischen Garten

Diese Veranschaulichung zeigt, wie sich Planer im Jahr 1926 eine Straßenbahn durch den Englischen Garten vorgestellt hatten.

 (Foto: oh)

Was seit 100 Jahren geplant wird, ist nun endlich offiziell. Auch wenn die CSU natürlich noch "eine Vielzahl" von Problemen sieht. 

Von Heiner Effern

Um die historische Wucht dieser Entscheidung zu betonen, blickte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) weit zurück. Seit 100 Jahren gebe es Pläne, eine Tram durch den Englischen Garten zu bauen, sagte Reiter. In der letzten Stunde vor dem Stadtratsbeschluss zeigte sich dann eindrücklich, warum es so lange gedauert hat und welch heftige Emotionen die geplanten Gleise durch den Park auch heute noch wecken.

Im Feuer steht insbesondere die CSU, die über Jahrzehnte an der Spitze der Gegner stand. Durch eine handstreichartige Ansage kassierte Parteichef und Ministerpräsident Horst Seehofer diese Position aber im vergangenen Sommer ein. Letztlich stimmten nur noch vier ihrer Stadträte gegen die Garten-Tram, deren Bau nun mit großer Mehrheit beschlossen ist.

Englischer Garten Tram durch den Englischen Garten: Seehofer stellt sich gegen seine Parteikollegen

Tram durch den Englischen Garten: Seehofer stellt sich gegen seine Parteikollegen

Der Freistaat werde das Projekt zulassen, verspricht der Ministerpräsident. Doch Münchens CSU-Chef Ludwig Spaenle kündigt bereits an: "Mit mir wird es das nicht geben."Von Dominik Hutter, Christian Krügel, Lisa Schnell und Andreas Schubert mehr ...

"Scheißegal. Wir reißen den auseinander."

Am härtesten rechnete mit der CSU einer ab, der ihr lange angehörte, vor knapp zwei Jahren aber in die Bayernpartei flüchtete. Am Mittleren Ring baue die Stadt einen Autotunnel um 130 Millionen Euro, um den Park zusammenzuführen, erklärte Stadtrat Mario Schmidbauer. Bei der künftigen Tram sagten sich die Befürworter nun "scheißegal. Wir reißen den auseinander." Schuld daran sei der von oben erzwungene Richtungswechsel der CSU. "Ihr werdet alle umfallen. Das ist der Hammer", sagte Schmidbauer vor der Abstimmung. Besonders hart attackierte er seinen früheren Bezirkschef, Kultusminister Ludwig Spaenle. Dieser habe immer betont, dass er als zuständiger Landtagsabgeordneter zu den größten Gegnern gehöre. Die Ansage Seehofers habe er dann einfach hingenommen. "Der hatte Angst, dass er seinen Ministerposten verliert", ätzte Schmidbauer über den "zweiten großen Wendehals" in der CSU. Deren Münchner Chef sei einer, "der nach oben kniet und nach unten tritt."

Spaenle verschickte am Nachmittag eine Mitteilung, in der er den Umfaller-Vorwurf zurückwies. "Ich bin nach wie vor hundertprozentig gegen die Idee einer Tram durch den Englischen Garten und präferiere immer noch die Planung eines Elektrobusses", schrieb er. CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl gab sich in der Sitzung bereits gelassen. Man könne die Aufregung wieder "runterzoomen", sagte er. Seine Partei sehe nach wie vor "eine Vielzahl" von Problemen, die noch zu lösen seien.

Das betreffe etwa die Breite der Trasse von der Thieme- bis zur Tivolistraße, auf der jetzt Busse verkehren. Dazu gelte es die im Anschluss betroffenen Straßen mit vielen historischen Häusern zu schützen. Nicht nur im Englischen Garten, sondern auch dort solle die Tram mit Akkus statt Strom aus der Oberleitung fahren. Die weitgehende Zustimmung der CSU sei "kein Umfallen", sondern Folge "einer konstruktiven Auseinandersetzung" mit einer Strecke, der man "einen verkehrlichen Nutzen im beachtlichen Umfang" zuerkenne.

Die FDP positioniert sich als Retter des Englischen Gartens

Die Trasse durch den Englischen Garten wird Teil der Tram-Nordtangente. Diese soll auf 13 Kilometern Länge von Neuhausen über Schwabing nach Bogenhausen führen. Nur etwa zwei Kilometer Gleise zwischen Elisabethplatz und Tivolistraße müssen neu verlegt werden, der Rest existiert schon. Dazu wird eine Verbindung der Parktram mit der Linie 23 an der Münchner Freiheit geprüft. SPD und Grüne lobten ebenso wie später der Fahrgastverband Pro Bahn die Tangente als wichtigen Baustein für den öffentlichen Nahverkehr.

Die FDP hingegen ließ es sich nicht nehmen, sich als Retter des Englischen Gartens und der schönen Straßen auf beiden Seiten des Parks zu positionieren. Der frühere Wissenschaftsminister und jetzige Stadtrat Wolfgang Heubisch, der sich wie Spaenle in Schwabing um ein Landtagsmandat bewirbt, sprach von "einem Umfaller, dessen Namen ich nicht ausspreche".

Demonstrativ eng zeigte sich Heubisch mit Carolina Pougin, die eine Online-Petition gegen die Garten-Tram initiiert und in München 1300 Unterstützer gefunden hat. Sie geißelte als Gastrednerin die Tram und sagte verheerende Folgen für Park und Straßen an der Strecke voraus. Bis zur Landtagswahl im Oktober werden Anwohner und Tramgegner aus der Politik das Thema immer wieder über Bande spielen. Spaenle wird das Stimmen kosten, bleibt abzuwarten, ob die Tram in seinem umkämpften Stimmbezirk sogar dafür sorgt, dass sein Landtagsmandat im Herbst in Richtung SPD abbiegt.

Stadtpolitik in München 2025 könnte die erste Tram durch den Englischen Garten fahren

2025 könnte die erste Tram durch den Englischen Garten fahren

Wie soll die Linie verlaufen? Wie weit sind die Planungen? Und schafft es die Akku-Tram überhaupt durch den Englischen Garten? Die wichtigsten Fragen und Antworten. Von Alfred Dürr, Dominik Hutter und Andreas Schubert mehr...